Formel 1 - Vom Spritfresser zur nachhaltigen Serie

Für die Automobilindustrie gibt es keinen besseren Sport als die Formel 1. Angesichts sich verändernder Fahrgewohnheiten und einer Hinwendung zum E-Auto sah es für kurze Zeit jedoch so aus, als könnte dieses Schauspiel fahrerischer Topleistungen sein Ende finden. Der ungehobelte „Playboy-Lifestyle“ früherer Jahre der F1 ist in der modernen Zeit nicht länger zeitgemäß. Die F1 musste sich daher von Grund auf ändern. Sie hat noch immer eine riesige Fan-Gemeinde, die Woche um Woche mit dem Flugzeug von einer Rennstrecke zur nächsten reist. Die Zeit, in der von den Umweltauswirkungen der Rennwagen keine Notiz genommen wurde und Umweltschutz und Nachhaltigkeit keine Themen waren, ist jedoch vorbei.

Die Formel 1 ist die Königsklasse des weltweiten Motorsports. Diese Position konnte sie allerdings nur über einen so langen Zeitraum einnehmen, weil sie sich kontinuierlich weiterentwickelte und auf der Suche nach neuen Technologien war und somit auf und neben der Rennstrecke aktuell blieb. Die Formel 1 ist durch neue Rennserien wie die Formel E (Rennserie für Wagen mit Elektromotor) und die Langstrecken-Weltmeisterschaft (Wagen, die mit erneuerbaren Kraftstoffen laufen), die sich um schnelle, umweltfreundlichere Wagen entwickelt haben, unter Druck geraten. Dennoch hält die Anziehungskraft der F1 weiter an. Und sie unternimmt jetzt den nächsten Schritt auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit.

Beginn der Hybrid-Ära

Bemühungen der F1 um mehr Nachhaltigkeit begannen im Jahr 2014 mit der Einführung von Hybridmotoren. Die großen V8-Motoren wurden gegen die sehr viel kleineren, aber ebenso leistungsstarken V6-Motoren mit hybriden Komponenten getauscht, die beim Bremsen Energie laden und auf gerader Strecke höhere Geschwindigkeiten liefern konnten. Diese Veränderung rief jedoch auch Kritik hervor. Eingefleischte Fans waren gegen die neuen Motoren, da diese leiser waren und nicht länger den geliebten satten Sound lieferten.  Die Folge waren sinkende Zuschauerzahlen und häufige Wechsel unter den teilnehmenden Herstellern, da die Kosten explodierten. Zur selben Zeit hatte die von der FIA (Fédération Internationale de l'Automobile) seit 2011 entwickelte Formel-E-Meisterschaft ihre Debüt-Saison.

Zum Kontext: Ziel der Formel E war es, zu zeigen, wie nachhaltiger Motorsport aussehen könnte. Rennen sollten eher auf temporären Stadtkursen als auf traditionellen Rennstrecken stattfinden. Dies scheint zu funktionieren: Nach acht Jahren ist der Sport enorm gewachsen. Er verfügt über seine eigenen weltbekannten Fahrer, darunter einige ehemalige F1-Fahrer, und sämtliche namhaften Hersteller wie Mercedes, Jaguar, Porsche und Nissan nehmen daran teil. Darüber hinaus sind Formel-E-Wagen sehr viel schneller und konkurrenzfähiger geworden, was mehr Fans und ein breiteres TV-Publikum anzog.

Der Wendepunkt: 2017

Die Formel 1 wusste, dass sie auf die Formel E reagieren musste. Allerdings gingen ihre Beliebtheitswerte in den Saisons 2014, 2015 und 2016 zurück, da der Sport in dieser Zeit von einem einzigen Team dominiert wurde: Mercedes. Mercedes war das einzige Team, das die Leistung der neuen elektrischen und hybriden Systeme für sich nutzen konnte. Das Team hatte die Meisterschaften bereits gewonnen, als noch 3-4 Rennen der Saison zu fahren waren. Zwischen 2014 und 2021 holte sich Mercedes jeden Konstrukteur-Weltmeistertitel. Obwohl dies eine enorme Leistung ist, ist es nicht das, das Fans jede Saison sehen wollen. Unterdessen boten die Formel E und die Langstrecken-Weltmeisterschaft knappe Rennen an ausverkauften Austragungsorten, etwas, das die F1 in fast vier Jahren nicht erlebt hatte.

Der Wendepunkt kam im Jahr 2017 als Bernie Ecclestone die F1 für 3,3 Mrd. Pfund an die Liberty Media Corporation verkaufte. Chase Carey wurde der neue Formel-1-Chef und Liberty Media setzte sich zum Ziel, die weltweite Beliebtheit, die die F1 in ihren glorreichen Jahren genossen hatte, wiederherzustellen.

In der F1 dreht sich alles um Geschwindigkeit. Neue Regeln im Jahr 2018 führten zu sehr viel schnelleren Wagen mit starken elektrischen Booster- und Rückgewinnungssystemen, die die Geschwindigkeit der Wagen steigerten und zugleich deren Kraftstoffverbrauch senkten. In der Saison 2018 wurden bei jedem Rennen neue Rundenrekorde aufgestellt. Dies hatte zur Folge, dass die Publikumszahlen wieder zunahmen. Dass dies mit der sehr beliebten Netflix-Serie ‚Formula 1: Drive to Survive‘ zusammenfiel, trug ebenfalls dazu bei. Fans erhielten durch die Serie einen Einblick hinter die Kulissen, sie lernten die Fahrer ohne ihre Wagen kennen und erfuhren, welche Richtung der Sport nahm. Neue Fans wurden angezogen, besonders aus den USA, eine demographische Gruppe, die zuvor als nur hart zu knacken gegolten hatte.

2022 – Nachhaltigkeit fest im Fokus

Mit schnelleren Wagen wieder zurück auf Kurs und einem neuen Eigentümer, der dem Sport einen neuen Weg wies, war es Zeit, Pläne für eine neue Generation von Autos, Fans und Veranstaltungsorten zu entwerfen, die zu dem modernen Umweltbewusstsein passten.

Zur Konkurrenz gehörten nicht nur die Formel E, die Rennserie für Wagen mit Elektromotor, sondern auch Ableger wie Extreme E, eine vollelektrische Rallyserie, die an entlegenen Orten in aller Welt stattfindet. Diese Meisterschaften wollten auf Probleme des Klimawandels in verschiedenen Ökosystemen hinweisen und zeigen, wie elektrische Autorennen zu mehr Nachhaltigkeit beitragen und Gelder einwerben können, um die Schäden zu reparieren.

Der von Liberty Media und F1 neu eingeschlagene Pfad kam in Form von neuen Regeln für die Saison 2022. Diese brachten eine völlig neue Generation von Rennwagen. Diese verfügten zwar noch immer über den 1,6-Liter-Hybrid-Turbomotor, betankt wurden sie jetzt jedoch mit einer Mischung aus E10 und Biokraftstoff, was sie umweltschonender machte und die Produktionskosten senkte. Zudem wurden an den Wagen aerodynamische Änderungen vorgenommen, die auf ein positives Echo stießen, da sie es den Fahrern erlaubten, noch dichter aufzufahren. Dies machte die Rennen zu einem sehr viel spannenderen Spektakel, als es die Zuschauer in der Saison bisher erlebt hatten. Neben diesen Änderungen wurde eine Budgetobergrenze eingeführt, um die wirtschaftliche Kluft zwischen den großen Teams im Feld und den Teams, die sich in der Regel auf den hinteren Plätzen der Startaufstellung wiederfinden, zu verringern. Die Obergrenze trug auch dazu bei, Abfälle bei Ersatzteilen und Transport zu verringern.

Darüber hinaus wurde der Ansatz der Formel E, temporäre Rennstrecken zu nutzen, beherzigt. Das beste Beispiel des Jahres ist bisher der Miami Grand Prix, ein außerordentlich erfolgreiches Event, das nicht nur jede Menge Einnahmen in die Kassen spülte, sondern auch der Allgemeinheit zugutekam. Die Fahrer und die Teams nahmen an öffentlichen Veranstaltungen teil, die die Nachhaltigkeitsziele der F1 vorantrieben, Getränke wurden nur in vollständig biologisch abbaubaren Bechern ausgeschenkt, an der Strecke bestand ein Plastikverbot und es gab Aktivitäten für Fans, die zeigen sollten, was die Formel 1 für die Zukunft des Sports plante und wie sie in unserer modernen Welt nachhaltig sein kann. Der Miami Grand Prix war der erste große Test für die Zukunft der F1. Die Anzahl der Fans, die daran teilnahm, lässt darauf schließen, dass der Plan der Formel 1 aufgeht.

Auf dem Programm steht außerdem noch der große „Engine-Freeze“ bis 2026 sowie die Entwicklung vollständig nachhaltiger synthetischer Kraftstoffe, die in derselben Saison eingeführt werden sollen. Der Plan ist, einen stärkeren Motor als die Power-Units mit 1000 PS zu entwickeln, die aktuell von den Teams eingesetzt werden. Dazu soll die elektrische Leistung auf 350 kW erhöht werden und die sogenannte MGU-H der Power-Units wegfallen, wodurch der Kraftstoffverbrauch und die Produktionskosten gesenkt werden. Zugleich soll zusätzlich ein sehr viel nachhaltigerer und umweltfreundlicherer Kraftstoff verwendet werden. Die neuen vollständig synthetischen Kraftstoffe werden durch einen industriellen Prozess hergestellt. Die Menge der CO2-Emissionen, die bei ihrer Verbrennung freigesetzt wird, wird nur so groß sein, wie in ihre Herstellung einfließt. Beim Großen Preis von Großbritannien in Silverstone gab es Gelegenheit, dieses neue Kraftstoffsystem in einem frühen Entwicklungsstadium zu erleben. Vorgeführt wurde es in dem legendären Williams FW14B von Nigel Mansell (auch bekannt als „Red 5“), hinter dessen Lenkrad Sebastian Vettel saß. Dies war ein weiterer Wendepunkt. Die Formel 1 teilte bei ihrem größten Event des Jahres vor dem größten Live-Publikum der Saison ihre Vision von einem nachhaltigeren Sport und nutzte dazu einen neuen Kraftstoff, der den berühmten spritfressenden V10-Motor aus Mitte der 1990er Jahren antrieb.  Diese Änderung hat dem Sport nicht nur eine Richtung gewiesen, wie er nachhaltiger und umweltfreundlicher sein kann, sondern hat auch die Aufmerksamkeit weiterer Autohersteller erregt, die nun darüber nachdenken, in den Sport einzusteigen.

Der CEO des Volkswagen-Konzerns gab kürzlich zu Protokoll, dass Porsche und Audi in die Formel 1 eintreten würden, da diese dank dem neuen Reglement nun sehr viel kosteneffizienter sei und den Nachhaltigkeitsbemühungen des Konzerns entspreche. Das sind gute Nachrichten, da die VW-Marken Porsche und Audi derzeit sowohl an der Langstrecken-Weltmeisterschaft als auch an der Formel E teilnehmen. Aus der Sicht von VW wird die weltweite Präsenz auch den Verkauf von Fahrzeugen im Heimatmarkt ankurbeln, einschließlich vollelektrischer Modelle. Aus Sicht der F1 und der Liberty Group stärkt sie die Botschaft der Nachhaltigkeit, die bei einer wachsenden Fangemeinde Anklang findet, während an weiteren Wegen gearbeitet wird, wie die Co2-Emissionen eines Sports reduziert werden können, der Woche für Woche weltweit unterwegs ist, um seinen Fans die größte Show im Motorsport zu bieten.